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Undenkbare Zukunft: Wenn die Strände verschwinden

! Aktualisiert am 23. Januar 2024

Am 2. August 2023 war Earth Overshoot Day: der Tag, an dem die Menschheit alle Ressourcen aufgebraucht hat, die ihr die Erde bietet. Theoretisch – denn wir verbrauchen ja weiter. Von heute an bis zum Ende des Jahres verbrauchen wir also auf Pump, nutzen Ressourcen, die wir eigentlich gar nicht haben. Eine schreckliche Folge ist das Verschwinden der Strände – aller Strände, weltweit.

Weltwunderer Neuseeland Muriwai Beach

Der riesige Strand in Muriwai Beach – bald weg??

Die Strände verschwinden – wie kann das sein? Strände gibt es doch überall, und wir genießen jedes Jahr den Sand – ob wir am Pazifik in Japan Muscheln sammeln, am Atlantik in Andalusien in die Brandung springen, in Vietnam das wannenwarme Wasser genießen oder in Neuseeland die Angel auswerfen.

Wie können denn die Strände verschwinden?

Sand gibt es in Massen, der wird doch nicht alle?! Doch, wird er.

Der Bauboom, der vor etwa 150 Jahren mit der Erfindung des Stahlbetons einsetzte und seitdem weltweit in wahnsinnigem Tempo weitergeht, ist die Hauptursache. Aber auch die Herstellung von Glas und Hightech, von Plastik, Farben oder Shampoo verbraucht massenhaft Sand. 40 Milliarden Tonnen Sand werden auf der Welt verbraucht – pro Jahr!

Sand ist ein billiges Baumaterial, es liegt überall herum. Aber die leicht zugänglichen Stellen, an denen sich Sand einfach wegbaggern lässt, sind – so krass das klingt – inzwischen aufgebraucht. Und der Sand in den Wüsten ist zum Bauen ungeeignet, weil seine Körnchen die falsche Form haben.

Strand verschwinden

Der Strand in Pakiri Beach scheint endlos – ist er das auch?

Die Sandindustrie (es gibt auch Sandhändler, Sandmessen, Sandschmuggler und sogar eine Sandmafia!) bedient sich daher inzwischen am Meeresboden. Da liegt der Sand ja einfach herum und keiner braucht ihn, richtig? Riesige Schwimmbagger fördern heutzutage überall vor den Küsten der Weltmeere (Sand gibt es nur bis etwa 12 Meter Tiefe) Sand, der dann nach Indien, China, Singapur oder auch Dubai exportiert wird.

Dort wird eifrig gebaut, aus diversen Gründen – sei es die wachsende Bevölkerung, die vom Land in die Städte drängt und Wohnraum braucht, sei es der Landmangel kleiner Stadtstaaten, die neue Flächen im Meer aufschütten oder immer weiter in die Höhe bauen müssen, aber auch weil eine Immobilien-Spekulationsblase es lukrativ macht, immer mehr Wohnungen zu bauen, die gar nicht vermietet werden. In Mumbai stehen angeblich 50 % der Wohnungen leer, während die Mehrheit der Städter in Slums wohnt!

Prestige-Bauprojekte wie der Burj al Arab in Dubai sind mit importiertem Sand gebaut worden (und auch hier sind 90 % der Wohnungen nicht vermietet!). Für das Luxus-Neulandprojekt „The Palm“ vor Dubai wurden Milliarden Tonnen Sand ins Meer geschüttet, für den Nachfolger „The World“ fehlt tatsächlich inzwischen das Baumaterial – es ist bis auf Weiteres stillgelegt.

In Marokko (und, wie ich es einschätze, auch in Vietnam und vielen anderen ärmeren Ländern) werden immer neue Hotelanlagen an den Stränden hochgezogen, für die es keine Baugenehmigungen – und auch keinen legal erworbenen Sand gibt. Der wird entweder direkt vor der eigenen Küste geklaut oder international geschmuggelt, oft mit Wissen der Regierung.

Sunset Mui Ne Beach Vietnam Strände verschwinden

Der Strand im vietnamesischen Mui Ne ist schon großteils verschwunden

Singapur wird beschuldigt, Sand aus Kambodscha und Indonesien einzuschmuggeln oder dort sogar illegal abzubauen – Singapur, der Vorzeigestaat! Sand ist inzwischen so wertvoll geworden, dass man von „sand wars“ spricht, und die Sandmafia in Indien schreckt auch vor Mord an Kritikern nicht zurück.

Was passiert ohne Sand?

Warum uns Normalbürger das alles interessieren, ja sogar schockieren sollte? Weil unsere Strände verschwinden werden. Alle.

Der Sand, der in Stahlbeton, Plastik etc. verbaut wird, ist damit weg. Und da inzwischen weltweit fast alle Flüsse mit Staudämmen zur Energiegewinnung verstopft wurden, bleibt neuer Sand, der in einem natürlichen Erosionsprozess von den Gebirgen ins Meer wandert, dort stecken. Es kommt nichts nach.

Und das bisschen, was nachkommt, kann sich nicht an der Flussmündung ablagern – entweder es wurde vorher schon von Sandhändlern aus dem Flussbett gebaggert, oder es schießt mit voller Strömungskraft weit ins Meer hinaus, weil die Flussläufe über lange Strecken kanalisiert und einbetoniert sind und damit die Fließgeschwindigkeit angestiegen ist.

Muriwai Beach

Auch unglaublich breite Strände wie Muriwai Beach können verschwinden

Wenn Sand vor den Meeresküsten weggebaggert wird, entsteht dort ein Loch – aber wer schon mal am Strand eine Sandburg gebaut hat, der weiß: Dieses Loch wird sehr schnell von nachrutschendem Sand aufgefüllt. Und dieser Sand rutscht eben von den Stränden weg.

Weil hinter oder sogar auf vielen Stränden inzwischen Straßen und Häuser stehen, hat der Sand auch keine Chance, nach hinten auszuweichen (ein Prozess, der ansonsten ganz natürlich im Wechsel der Jahreszeiten abläuft: Im Winter weicht der Strand vor der stärkeren Brandung aus, wird flacher und verlagert sich nach hinten, im Sommer wird er wieder „dicker“ und etwas schmaler).

Also wird der Strand gnadenlos weggespült. Wellenbrecher, Hafenkais und Flutmauern zerstören die Strände weiter, weil sie natürliche Strömungen unterbrechen.

Weltweit sind 90 % der Strände am Schrumpfen – NEUNZIG PROZENT!

  • Auf den Malediven sind ganze Inseln dabei zu verschwinden, statt fußballfeldgroßer Strände nagen dort jetzt die Wellen direkt an den Häusern der Einwohner.
  • Die Insel Sylt verliert jedes Jahr 17.000 Quadratmeter Strand.
  • Miami Beach, das komplett auf Sand gebaut ist, kämpft um jeden Quadratmeter seiner Fläche.

So sieht es auf der ganzen Welt aus, und verzweifelte Maßnahmen wie künstliche Strand-Aufschüttungen zeigen langfristig keinen Effekt (und kosten Millionen).

Wusstet ihr, dass ihr auf Teneriffa, in Florida, in Marbella oder Barcelona schon seit Jahren an künstlichen Sandstränden badet?

Und dabei hat der Anstieg der Meeresspiegel, der ja definitiv passieren wird, noch gar nicht richtig begonnen! Ohne die schützende Barriere der Strände, die das Hinterland auf natürliche Weise vor der Brandung schützen, werden die Folgen dieses Anstiegs noch katastrophaler aussehen, als sie es ohnehin schon sein werden.

Oregon Coast Florence

Rund um Florence an der Oregon Coast erstrecken sich endlose Dünen – wie lange wohl noch?

„Oma, was ist Strand?“

Ich habe keine Ahnung, wie sich dieser Prozess noch stoppen ließe.

Um die Strände zu retten, müsste die Politik überhaupt erst einmal auf das Problem aufmerksam werden; bis dato gehört der Schutz der Strände zu keinem Umweltschutzpaket, das Thema wurde im EU-Parlament noch nie diskutiert.

Aber nicht nur das: Die gesamte Baubranche der Welt müsste radikal umdenken, man müsste neue Baumaterialien und -techniken entwickeln, den Städtebau neu konzeptionieren, sanddurchlässige Staumauern bauen, auf Giga-Bauprojekte verzichten und vor allem: aufhören, den eigenen Profit an erster Stelle zu sehen.

Ich bin Realistin genug, um zu wissen, dass solche Veränderungsprozesse Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte brauchen – und dass sie meistens erst dann einsetzen, wenn es nicht mehr anders geht. Wenn der Karren vor die Wand gefahren wurde.

Wenn die Strände verschwunden sind.

„Oma, was ist ein Strand?“, werden unsere Enkel, vielleicht auch erst unsere Urenkel uns fragen. Und wir werden ihnen Fotos und Filme zeigen vom Wharariki Beach in Neuseeland, von der Playa Bolonia in Andalusien, von den Ostseestränden auf Usedom und denen in Thailand. Vielleicht haben wir auch eine Flasche voll Sand aufgehoben, den unsere Enkel dann andächtig durch ihre Finger rinnen lassen.

Es bricht mir das Herz, an diese Zukunft zu denken.

Andalusien mit Kindern Costa de la Luz

Atlantik-Traumstrand bei Tarifa – verabschiedet euch schon mal…

Zum Weiterlesen: ein ausführlicher Artikel in der ZEIT von 2014

Jenny

5 Kommentare

  • Meinst du vielleicht den Burj Kalif anstatt des Burj als Arab?

    Und ja, mir ist das seit längerem bewusst, daß fängt eben schon klein an. Die ganze Ökobewegung, die zwar aufkommt, aber eigentlich hat kaum jemand eine Ahnung. Es geht eben nicht nur um ‚Glas ist besser als Plastik‘ sondern auch um die benötigten Ressourcen für Herstellung, Transport und Recycling…. Und da schneiden sowohl Glas, als auch Papiertüten schlechter ab.

    Wir leben nach dem Motto, nach uns die Sintflut. Einfach, weil wir es nicht besser wissen und eine radikale Umstellung wäre uns faulen Menschen wohl zu kompliziert.

    Stephen Hawkins gibt unserer Rasse sowieso nur noch 100 Jahre – dann löschen wir uns vermutlich selber aus.

    • Das kann schon sein, dass es der Burj Khalifa ist. Aber all die anderen Monster-Skyscraper stehen ja auch noch da – bei denen ich mich jedesmal frage, wessen Minderwertigkeitskomplexe da eigentlich befriedigt werden mussten… ;-)

  • Ja, das bricht mir auch das Herz. Aber das mit den Stränden ist ja nur ein Punkt von drölfzillionen auf der Liste. Die Regenwälder verschwinden, die Bienen sterben, das Great Barrier Reef ist offiziell schon für tot erklärt worden (dabei war ich da vor 14 Jahren noch schnorcheln) etc. etc. etc. Daher schockt mich das mit den Stränden schon fast nicht mehr. Leider. Wir Menschen sind echt furchtbar und ich weiß gar nicht was passieren muß, damit wir aufwachen. Auf den Malediven gibt es z.B. auch die künstliche Flughafeninsel. Alles erschaffen mit dem Sand der rund um die restlichen Inseln weggebaggert wurde. Was soll man dazu noch sagen? Es ist einfach nur traurig. LG, Nadine

    • Die Regenwälder und alles andere – stimmt. Aber das sind halt immer (so schlimm das jetzt klingt) so ferne Sachen, zu denen man keine Beziehung hat. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Lieblingsstrände an der Ostsee, in Spanien oder in Neuseeland in ein paar Jahren oder Jahrzehnten weg sein werden – unvorstellbar! :-( Und noch schlimmer: Anders als beim Regenwald, dessen Verschwinden uns ja nun schon seit den 1990er-Jahren um die Ohren gehauen wird, hatte ich von dieser Sand-Geschichte bis gestern keine Ahnung!!

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