Dresden: Heimatreisen

Der Archaeopfad: Dresdens unsichtbares Weltwunder

Jeder kennt die Pyramiden in Gizeh oder Stonehenge – Weltkulturerbestätten aus der frühen Geschichte der Menschheit. Eine deutlich ältere, vielleicht noch bedeutendere Stätte liegt in Dresden: Der „Archaeopfad“ in Prohlis und Nickern führt euch durch die unsichtbare (Früh-) Geschichte von Dresden, die richtiggehend spektakulär ist.

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Der Archaeopfad führt von Prohlis aus 7.000 Jahre in die Vergangenheit

Quizfrage: Wie alt ist Dresden?

Zum ersten Mal offiziell urkundlich erwähnt wurde Dresden im Jahr 1206, gegründet wahrscheinlich ein paar Jahre davor. Aber natürlich lebten auf dem Gebiet von Dresden, vor allem am linken Elbufer, schon viel länger Menschen. Wie viel länger, haben Forscherinnen und Forscher erst vor wenigen Jahren festgestellt: Das Gebiet von Dresden ist schon seit fast 6.000 Jahren besiedelt und die Leute haben hier riesige Anlagen errichtet – lange bevor die Pharaonen in Ägypten ihre Pyramiden bauten.

Mitteleuropa in der Steinzeit stellt man sich immer als dichten, düsteren Wald („Miriquidi“) vor, bewohnt von primitiven Höhlenmenschen. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass es wahrscheinlich ganz anders aussah: Statt dichter Wälder aus Tannen und Buchen wuchsen hier eher lockere Eichenwälder, in deren Schatten riesige Auerochsen, pelzige Wisente und Rotwild weideten.

Und auch die Kulturlandschaft des Elbtals gab es damals bereits: Auf den weiten Wiesen und Feldern arbeiteten und wohnten Menschen – und zwar keine felltragenden Fred Feuersteins, die in Höhlen hockten und mit Faustkeilen warfen. Hier lebten Leute, die ingenieurtechnisch richtig was drauf hatten.

Woher man das weiß? Von den Kreisgrabenanlagen von Dresden.

Vergessenes Weltwunder: die Kreisgrabenanlagen von Dresden

Im Dresdner Stadtteil Nickern ist es ziemlich idyllisch. Die Plattenbauten von Prohlis weichen hier spießigen Reihenhäusern, eine mehrspurige Bundesstraße schneidet sich durch weite Felder und Obsthaine, dazwischen stehen einige Bauernhöfe und sogar ein altes Schloss.

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Nickern: nett hier!

Genau hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, wurden die ersten Monumentalbauten der menschlichen Zivilisation in ganz Europa entdeckt – und zwar nicht vor kurzem, sondern schon vor einigen Jahren! Anfang der 1990er-Jahre war es, als hier ein riesiges Einkaufszentrum an den Stadtrand geklatscht wurde und ein Autobahnzubringer für die A17 uns ein Frühstück in Prag ermöglichen sollte.

Bei diesen Bauarbeiten stießen Archäologen auf vier riesige Kreisgrabenanlagen mit bis zu 130 m Durchmesser. Zum Vergleich: Ein solcher Graben würde die komplette historische Altstadt Dresdens samt Semperoper, Frauenkirche und Kreuzkirche umspannen!

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Die Kreisgrabenanlage ist nur noch rekonstruiert zu sehen

Solche Kreisgrabenanlagen gibt es nicht nur in Dresden. Auch an anderen Stellen in Sachsen hat man sie entdeckt. Sie sind für Archäologen so bedeutsam, dass das sächsische Landesamt für Archäologie den stilisierten Grundriss einer vierfachen Kreisgrabenanlage, die bei Leipzig gefunden wurde, als Logo führt.

Die prähistorischen Anlagen am Stadtrand von Dresden entstanden zwischen 4800 und 4600 v. u. Z. Ob es Tempel, Sternwarten oder Wochenmärkte waren, weiß bisher niemand – es fehlen Schriftfunde, die (wie in den Pyramiden) Aufklärung geben könnten. Man geht davon aus, dass die Ringgräben von Bauern angelegt wurden, die in großen Langhäusern lebten – in einer gut organisierten Gesellschaft. Nach nur 200 Jahren verließen sie aber ihre Kreisgräben wieder; ähnliche Anlagen aus der Bronzezeit wurden erst 3.000 Jahre später angelegt. Was zwischendurch in Dresden los war, liegt im Dunkeln.

Im Raum Dresden wurde also bereits 2.000 Jahre vor den Pharaonen eifrig gebaut. Wieso weiß das niemand?

Es liegt wohl daran, dass man von den gewaltigen Kreisgrabenanlagen mit Laien-Augen nichts sehen kann. Rekonstruktionen zeigen kreisrunde, etwa 2 Meter tiefe Gräben mit einem Durchmesser von 20 bis 130 Metern und vier Seitenöffnungen. Im Laufe der Zeit füllten sich die Gräben mit Erde, weshalb man solche Kreisgrabenanlagen mit viel Glück (etwa in Kyhna bei Delitzsch) noch aus der Luft erkennt – das Gras wächst an den aufgefüllten Stellen dichter.

In Nickern hat wild wucherndes Gebüsch die Ausgrabungsstellen nach wenigen Monaten wieder überdeckt; aus Kostengründen wurde nur ein kleiner Teil der Anlage, nämlich der, auf dem der Autobahnzubringer gebaut werden sollte, überhaupt freigelegt.

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Die Autobahn war schuld an der Entdeckung

Unsichtbare Attraktion: der Archaeopfad in Nickern

Wer die ausgegrabenen Artefakte und die Modell-Nachbildungen der Kreisgrabenanlagen von Nickern sehen will, der muss nach Chemnitz ins Staatliche Museum für Archäologie fahren. Wer aber mit eigenen Füßen dort stehen will, wo vor 6.000 Jahren der (kulturgeschichtliche) Bär steppte, der kann seit Mai 2020 auf dem Archaeo-Pfad von Dresden-Prohlis nach Kauscha laufen.

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Unterwegs auf dem Archaeo-Pfad

Der Archaeo-Pfad ist ein Rundweg von ca. 11 km. Er führt großteils auf ebenen Wegen, zum Teil auf Fußwegen am Straßenrand entlang und kann sowohl zu Fuß als auch mit dem Fahrrad gegangen werden. Für das Fahrrad sprechen die zum Teil etwas langweiligen Wegstücken zwischen den einzelnen Fundorten, für die Füße sprechen die ganz ordentlichen Steigungen, die man zwischendrin überwinden muss.

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Der Weg führt durch lichte Wäldchen…

Archeo-Pfad Dresden Nickern

… und über weite Felder

Der Rundwanderweg führt zu Fundstellen von Steinzeit- und Bronzezeit-Siedlungen, langobardischen Gräberfeldern, slawischen und kaiserzeitlichen Siedlungen – und eben auch zu den vier Kreisgrabenfeldern. Der Nickerner Heimatforscher Steffen Bösnecker wollte dem Geschichtswanderweg eigentlich den Namen „Via Neolithica Dresdensis“ geben. Aber heute umfasst der Weg auch noch Funde aus anderen Epochen und zeigt, dass die Geschichte der Menschen im Elbtal schon vor 25.000 Jahren, während der Weichsel-Eiszeit, begann.

Start des Archaeopfades ist am Palitzsch-Museum in Prohlis, wo auf einer Infotafel am Ufer des Geberbachs auf die lange Geschichte dieses Stadtteils eingegangen wird. Ein Abstecher ins Museum, das nur von Mittwoch bis Sonntag geöffnet hat, ist sehr zu empfehlen – ihr werdet überrascht lernen, dass das Plattenbau-Ghetto Prohlis die Wiege der menschlichen Besiedelung Sachsens ist!

Vorbei am Schlossgarten (dessen Schloss schon seit Jahrzehnten verschwunden ist) führt der Pfad über die sechsspurige Dohnaer Straße hinüber, dann geht es in einer großen Runde auf die sanften Hänge von Nickern und Kauscha hinauf, wo sich ein schöner Blick auf das Dresdner Elbtal bis zu den Tafelbergen der Sächsischen Schweiz auftut.

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Schöne Aussicht auf die Sächsische Schweiz

In einer weiten Runde geht es dann über Felder und durch kleine Wäldchen, vorbei am Schloss Nickern bis zu Bushaltestelle Kauscha – hier ist der höchste Punkt der Runde erreicht, Radfahrer*innen können aufatmen. Über den alten Postweg kommt man zum Aussichtspunkt am Trutzsch, wo Funde aus der Bronze- und Eisenzeit entdeckt wurden, Schafe unter Obstbäumen weiden und in 200 Metern Höhe ein Traumblick über Dresden wartet.

Alle paar hundert Meter wartet eine weitere Infotafel mit einem Text, Fotos von Ausgrabungsstücken, Karten und historischen Bildern, die auf einem Zeitstrahl übersichtlich eingeordnet sind. Selbst wenn man von dem Grab des langobardischen Paars aus der Zeit der Völkerwanderung, den ausgedehnten Siedlungen und den Gräberfeldern aus der Jungsteinzeit nichts mehr sieht – ich persönlich finde den Reichtum an Geschichte, der hier unter unseren Füßen liegt, unglaublich faszinierend.

Archeo-Pfad Dresden Nickern

Info-Tafel folgt auf Info-Tafel..

Archeo-Pfad Dresden Nickern

… und man kann viel lernen!

Archaeopfad: die wichtigsten Stationen

Einziges Manko: Auf den Archaeopfad-Infotafeln ist der Weg nicht eingezeichnet, nur einige Wegweiser geben Hinweise über die Richtung. Am besten nimmt man sich im Palitzsch-Museum einen Flyer mit, auf dem der Rundweg markiert ist. Runterladen könnt ihr ihn auf der Website der Stadt Dresden, online anschauen geht bisher nicht. Geplant sind auch 20 Geocaching-Punkte entlang des neuen Wanderwegs, wir dürfen gespannt sein.

Von den elf Stationen sind diese die wichtigsten:

  • Palitzschhof an der Gamigstraße 24, Thema: Das Dorf Prohlis
  • Hauboldstraße/Ecke Langobardenstraße, Thema: Langobarden in Nickern
  • Bus-Haltestelle Altnickern, Thema: Neolithische Siedlung und Gräberfeld
  • Fritz-Meinhardt-Straße/Unterführung Tschirnhausstraße, Thema: Kreisgrabenanlagen
  • Aussichtspunkt Trutzsch, Thema: Bronze- und eisenzeitliche Fundstellen um den Trutzsch
Archeo-Pfad Dresden Nickern

In Prohlis beginnt Sachsens Geschichte

Geheimtipp in Prohlis: das Pahlitzsch-Museum

Das hässlich und in ganz Dresden als asozial verschriene Plattenbau-Viertel Prohlis ist, man glaubt es kaum, die Wiege der menschlichen Besiedelung Sachsens: Bei Grabungen fanden Archäologen hier den Eckzahn eines Wollhaarmammuts, der mehr als 50.000 Jahre alt sein soll. Die ersten Spuren menschlicher Besiedlung in Prohlis sind 7.000 Jahre alt.

Palitzsch-Museum Dresden Prohlis

Das Palitzsch-Museum ist der letzte Überrest des alten Prohlis

Im 18. Jahrhundert sah Prohlis komplett anders aus als heute – damals war hier ein kleines Dorf, weit vor den Stadtmauern von Dresden. Von Hochhäusern war noch nichts zu ahnen. Die wuchsen erst nach dem 2. Weltkrieg empor, der das Dorf Prohlis komplett zerstört hatte (den Rest riss die DDR-Führung ab).

Damals lebte in Prohlis ein außergewöhnlich kluger Bauer. Er hieß Johann Georg Palitzsch und baute nach den Hungersnöten in Folge des Siebenjährigen Krieges als erster Bauer im Elbtal Kartoffeln an. Später baute er den ersten Blitzableiter auf den Turm des Dresdner Schlosses, von dessen Erfindung durch Benjamin Franklin er gelesen hatte.

Palitzsch-Museum Dresden Prohlis

Georg Palitzsch war ein kluger Kopf

Obwohl „nur“ ein Bauer, bildete sich Johann Georg Pahlitzsch im Selbststudium zum international anerkannten Fachmann für Physik, Botanik und Astronomie weiter. Er sammelte Pflanzen und Mineralien, legte eine große Bibliothek an, die leider bei einem Brand fast komplett zerstört wurde. Sein größter Ruhm war die Entdeckung des Halleyschen Kometen am Nachthimmel, den er 1785 in seinem Fernrohr sah. Dass es den Kometen gab, war damals schon bekannt; Edmond Halley hatte seine Rückkehr im Jahr 1705 exakt so vorausberechnet.

Das sympathisch rumpelige Arbeitszimmer des schlauen Bauern kann man im Palitzsch-Museum anschauen, das im ausgebauten Dachboden eben jenes letzten erhaltenen Bauernhauses untergebracht ist – genauso wie den Nashornzahn und eine überraschend umfangreiche Astronomie-Abteilung samt digitalem Mini-Planetarium.

Palitzsch-Museum Dresden Prohlis

Außerdem gibt es hier eine fantastische kleine Ausstellung über den sozialistischen Wohnungsbau – die passenden Hochhäuser stehen ja direkt drumherum. Ganz unvoreingenommen werden Originalmodelle der Prohliser Plattenbauten aus DDR-Zeiten gezeigt und man erfährt viel über die praktischen Beweggründe der Architekten, die in möglichst kurzer Zeit möglichst viel möglichst günstigen Wohnraum für viele Arbeiterinnen und Arbeiter bauen mussten.

Die Plattenbauten von Prohlis waren in den 1980er-Jahren bei der Dresdner Bevölkerung enorm beliebt: Hier gab es Fernheizung und warmes Wasser, ein eigenes Badezimmer und für jede Wohnung einen Balkon. Kita, Supermarkt und Bibliothek waren direkt im Viertel, Spielplätze gab es auch – und sehr bald wurde auch alles wunderbar grün. Spricht man mit Peter Neukirch, der das Museum leitet, eröffnen sich ganz neue Perspektiven auf Altbekanntes. Steinzeitliche Artefakte, Häusermodelle und Landkarten aus drei Zeitepochen passen dann plötzlich zusammen mit Asteroiden-Modellen und Planetarium.

Mit (Schul-) Kindern macht der Besuch überraschend viel Spaß, dank der vielen Gesprächsanregungen des Museumsdirektors und des urig verwilderten Gartens im Palitzschhof.

Dresden Palitzsch-Museum

Das Palitzschmuseum in Prohlis präsentiert eine wilde Mischung

Wenn ihr auf dem Archeo-Pfad wandern oder radeln wollt, fangt am besten hier am Pahlitzsch-Museum an: Dann startet ihr gut informiert und könnt auch gleich einen Flyer mitnehmen, auf dem der Verlauf des Weges abgebildet ist. Der ist ansonsten nämlich kaum auffindbar, weil nirgends eingezeichnet.

Ein echter Dresden-Geheimtipp!

Wo ist das Palitzsch-Museum?

Das Museum liegt im Palitzsch-Hof, der für sich allein schon eine Kuriosität zwischen den hoch aufragenden 17-Geschossern von Prohlis ist. Im Dachboden befindet sich das Museum, darunter die Jugendkunstschule.

Adresse: Gamigstraße 24, Website: www.palitzsch-museum.de
Anfahrt: aus dem Stadtzentrum über die Dohnaer Straße, dann links abbiegen auf die Gamigstraße
mit Bus und Bahn: Straßenbahn 1, Haltestelle Jacob-Winter-Platz, 9/13, Haltestelle Altreick oder Bus 66, Haltestelle Gamigstraße

Öffnungszeiten: Mi‒So 13‒18 Uhr
Tickets: 4 €/Erwachsene, 3 €/Kinder, freitags freier Eintritt
Die Jahreskarte für 30 € gilt auch für die Technischen Sammlungen und einige weitere Museen in Dresden.

Palitzsch-Museum Dresden Prohlis

Vor dem Palitzsch-Museum steht eine Sonnenuhr – und ein Stück weiter eine zweite, in Form einer Kartoffel

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Jenny

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