Tohoku, der Norden Japans, ist voller Überraschungen. Hier leben zum Beispiel die berüchtigten “kappa” – kleine, schildkrötenähnliche Wassergeister, die total auf Gurken stehen. So kam es denn, dass wir gemeinsam mit ein paar älteren Japanern knietief in einem Bächlein standen, eine Gurke am Strick ins Wasser hielten und uns fragten, wer hier wohl wen veräppelt…
Tono ist nur ein kleiner Punkt auf der Landkarte. Das Städtchen in der Provinz Iwate, die vom Tsunami von 2011 schwer getroffen wurde, ist der Flutwelle entgangen, dafür liegt es zu weit landeinwärts. Trotzdem ist das Städtchen in ganz Japan berühmt, und zwar für die “Tono Monogatari”, die Geschichten aus Tono*.
Im Jahr 1910 hat Yanagita Kunio, ähnlich wie bei uns die Gebrüder Grimm, 119 Märchen und Geschichten aus dieser Gegend gesammelt und aufgeschrieben. Eine wichtige Rolle darin spielen die “kappa”-Wassergeister, die es zwar in ganz Japan geben soll, die aber wohl am liebsten in einem Gewässer bei Tono leben: dem “kappa-buchi” hinter dem kleinen Jogen-ji Tempel, der mitten im Nirgendwo am Stadtrand zwischen Reisfeldern liegt.
Ein netter “kappa” hat irgendwann mal geholfen, ein Feuer in diesem Tempel zu löschen, was ihn zu dessen Schutzgeist machte. Und ein seltsamer Zufall hat außerdem dazu geführt, dass heute Schwangere und junge Mütter hierherkommen, um reichlich Milch für ihre Kinder zu erbitten.
Es war ein flirrend heißer Sommertag, aber das kann nicht der Grund dafür gewesen sein, dass wir in der ländlichen Idylle zahlreiche Japaner sahen, die mit seltsamen Sonnenhüten bewehrt waren und offenbar in der Tourist-Information von Tono eine Lizenz zum “kappa”-Fangen erworben hatten. Die Kinder waren irritiert. Meinten die das ernst?
Wer nachfragt, bekommt widersprüchliche Antworten. “Kappa” sind wohl so etwas wie der Yeti oder Bigfoot – immer wieder behaupten Menschen steif und fest, sie gesehen zu haben, hin und wieder taucht ein verwackeltes Foto auf, aber einen richtigen Beweis für ihre Existenz gab es noch nie. Selbst Yanagita Kunio, der Märchensammler, hielt “kappa” in Wirklichkeit für Affen.
Auf jeden Fall war der Glaube an die bösen “kappa” praktisch für japanische Eltern: So hielt man Kinder effektiv davon ab, am Wasserrand zu spielen.
Was ist ein “kappa” und warum sollte ich einen fangen?
Wer gern Sushi ist, der hat sowieso schon aufgehorcht: “Kappa maki” sind nämlich die Maki-Sushi mit grüner Gurke, und “kappa” hat tatsächlich etwas mit Gurken zu tun.
Jeder Japaner kennt die frechen Flussgeister, die gleichzeitig Dämonen und “niedere” Gottheiten (“kami”) sind. Sie leben in kleinen Flüssen oder Teichen und gehen nur hin und wieder an Land, um in den Feldern Gemüse zu stehlen. Meistens werden “kappa” als kleinkindgroß beschrieben und ähneln einer aufrecht gehenden Schildkröte mit blauem Gesicht und Schnabel. Was in den alten Aufzeichnungen recht gruselig aussehen kann, ist heute echt niedlich: Karin-chan, das Maskottchen von Tono, ist ein knuffiges kleines Ding mit einem Blumenhut.
In dem Hut (oder auch in einer Schale auf dem Kopf) trägt ein “kappa” immer etwas Wasser, das ihm große Kraft gibt. Wer einen “kappa” trifft, sollte sich immer zuerst verbeugen, das gebietet die Höflichkeit. Da der “kappa” ebenso höflich ist, wird er sich zurückverbeugen und dabei das Wasser von seinem Kopf verschütten – und peng, ist seine Zauberkraft dahin.
Das schlimmste Detail kommt aber noch: “kappa” fressen am liebsten kleine Kinder, die gerade baden. Erwischen sie eines, ziehen sie dem Opfer seine Gedärme durch das Po-Loch heraus, uaah! Das Gegenmittel ist aber einfach zu besorgen: Weil “kappa” Gurken noch mehr mögen als Kinder, muss man vor dem Baden nur eine Gurke ins Wasser werfen, um die kleinen Schlingel abzulenken.
Fangen muss man einen “kappa” also eigentlich nur, damit man dann in Ruhe baden kann. Man kann ihn aber dann wieder freilassen und wird dann einen Gefallen bei ihm frei haben – was nützlich ist, da “kappa” sich auch in der Medizin gut auskennen.
“Kappa” angeln in Tono
Das alles hatten wir schon vor unserem Stopp am Jogen-ji Tempel im gut informierten Lonely Planet* gelesen und wunderten uns daher nicht, als wir an Ort und Stelle mehrere mit Gurken ausgestattete Angeln bereitstehen sahen. Immerhin war es ein schöner Sommertag und wir hätten gern ein wenig gebadet. Scherz! Oder?
Wir wunderten uns allerdings ein wenig, dass die Abordnung aus drei gesetzten japanischen Herren tatsächlich wacker zu den Angeln griffen und sie ins Wasser schwangen. Wollten die etwa auch im Flüsschen baden gehen?
Noch viel größer wurden unsere Augen, als wir Zeuge eines dramatischen Zweikampfes wurden: Da rang doch tatsächlich ein junger Mann in Unterhosen mit einem… tja… was war denn das? Der etwa 16-jährige Kameramann klärte uns auf: Hier kämpfte “LED Man” heldenhaft gegen einen “kappa”!
Was japanische Jugendliche halt so machen, am Wochenende, in einer Kleinstadt. Wenigstens waren sie an der frischen Luft.
Die “kappa”-Begeisterung der Japaner ist übrigens recht neu. Es gibt wohl eine Kampagne mit dem Motto „Wasser ist Leben, Kappa ist das Herz“, die sich für die Reinhaltung der ländlichen Gewässer einsetzt und überhaupt das schöne Leben auf dem Land propagiert. Und wie immer in Japan wurde dazu als erstes eine niedliche Merchandise-Figur erdacht, die sich als Andenken verkaufen lässt.
Wenn Karin-chan es jetzt schafft, die Landflucht aufzuhalten und die verschmutzten Flüsse wieder zu säubern, hat sich die Zauberkraft der Kappa in Tono tatsächlich bewährt!
Ihr wollt einen Kappa in Tono fangen?
Wir sind mit dem Campervan nach Tono gefahren und haben direkt neben dem Jogen-ji Tempel am Straßenrand geparkt (wo es ausnahmsweise mal keinen großen asphaltierten Parkplatz mit Toilette gab!).
Wenn ihr ohne eigenes Auto unterwegs seid, müsst ihr von Tono aus (dorthin fährt die JR Kamaishi Line oder auch der Willer Bus direkt von Tokio oder Sendai) laufen, oder ihr leiht euch ein Fahrrad – das soll wunderschön sein. Linien- und spezielle Sightseeing-Busse gibt es, sie fahren jedoch nur selten.
Der Eintritt ist frei, sowohl in den Tempel als auch zum Kappa-Fangen am Bach.
-> Was wir noch so erlebt haben auf unserem Tohoku Roadtrip, könnt ihr hier nachlesen.
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Erwischen sie eines, ziehen sie dem Opfer seine Gedärme durch das Po-Loch heraus???? Hahahaha. Was sind das denn für Schauermärchen? Kann Deine Kleinste seitdem noch ruhig schlafen? Top kindertauglich. Über die Skurilitäten der Japaner muss man ja doch immer wieder lachen. GlG, Nadine
Du, ich hab mir das nicht ausgedacht!! Nur aus dem Lonely Planet übersetzt.
Aber wer sich seit frühester Kindheit anhören muss, wie Kinder alte Frauen im Backofen verbrennen, die sie vorher mästen und essen wollten, der nimmt solche Geschichten ganz gelassen hin :-P
Liebe Jenny,
ich musste herzlich lachen! Ein wunderbarer Bericht, der wieder dazu beiträgt, mich ein wenig an das für mich so unbekannte Japan heranzutasten. Einziges Problem: Ich werde wohl nie wieder eine Gurke anschauen können, ohne dabei unwillkürlich den Wunsch zu hegen, angeln zu gehen *gg*
Freue mich auf weitere Geschichten aus Japan.
Ganz liebe Grüße,
Nicole
Solange du dabei kein komisches Gefühl im Po kriegst… :-P
Schön, dass dir die Geschichte gefällt!
LG
Jenny