Japan ist so krass, so anders, so fremd, dass man eigentlich den ganzen Tag nur staunen kann. Für uns waren aber nicht der Sensoji Schrein oder das Geek-Viertel Harajuku die Japan-Highlights, sondern die täglichen Kleinigkeiten – für Japaner ganz normal, für uns fremd und exotisch. Ein Schwimmbadbesuch im Stadtpark zeigt das beispielhaft.
Von der Aussichtsplattform des gigantischen Tokyo Metropolitan Government Building (also dem Rathaus) haben wir weit in die Ferne, über Kilometer voller Hochhäuser bis zum Horizont geblickt – und direkt am Fuß der Türme in einem Park einen hellblauen Fleck entdeckt. Etwa ein Schwimmbad? Da müssen wir hin.
Nach einem kurzen Fußmarsch durch die drückende Mittagshitze, vorbei an einigen Obdachlosen (huch!), die unter einer Brücke in ordentlich aus blauen Plastikplanen angelegten Zelten leben, mit Topfpflanzen und sauber aufgehängten Handtüchern, werden wir fündig.
Im Schatten der Wolkenkratzer von Shinjuku, unter einigen großen Bäumen, liegen tatsächlich mehrere flache Planschbecken und Wasserspiele, dicht bevölkert von einer fröhlich kreischenden Kinderschar. Eintritt scheint das kleine Bad nicht zu kosten.
Ringsum sitzen die Mütter und Großmütter auf Picknickdecken und halten Handtücher, Sonnencreme und Snacks bereit. Und Badekappen. Und Schwimmringe. WTF?
Wir haben für unseren Stadtbummel durch Tokio natürlich weder Handtuch noch Badehose eingepackt. Ist das schlimm? Fast jedes der badenden Kinder ist voll ausgerüstet: Das knietiefe Wasser verlangt offenbar sowohl Schwimmring und Schwimmgürtel als auch Badekappe und UV-Schutzkleidung.
Unsere Großen sind erst kurz eingeschüchtert, werfen dann aber einfach ihre Schuhe ab und stürzen sich jubelnd mitsamt Kleidern in die lauwarme Brühe.
Noch etwas ist anders: Ringsherum stehen nicht nur Muttis – wir beobachten staunend, wie gleich zwei Bademeister das Treiben überwachen und sorgsam Wasser- und Lufttemperatur auf einer Tafel protokollieren. Noch während wir überlegen, ob wir in Deutschland schon jemals einen so alten Bademeister gesehen haben, bläst der in eine Trillerpfeife – und alle Kinder verlassen das Wasser und setzen sich am Rand des Rondells auf ihre Picknickdecken. Selbst die Kleinsten weinen und protestieren nicht.
Wir sind ratlos und können unseren enttäuschten Kindern nicht erklären, was hier los ist. Für Erdbeben-Alarm sind alle viel zu ruhig, und es bebt ja auch nicht. Schließt das Schwimmbad über Mittag? Hat ein Baby sich im Becken erleichtert?
Ein europäisch aussehender Papa erbarmt sich und erklärt uns, dass die Pause nur zehn Minuten dauern werde. Auf jede Stunde Badespaß folge so eine kurze Auszeit: Damit sich die Kleinen ein wenig ausruhen können. Wir schauen zu, wie die Bademeister mit Gießkannen durchs Becken gehen und das Wasser mit den Füßen umrühren. Es riecht nach Chlor. Neben der verordneten Ruhepause scheint auch die Hygiene eine Rolle zu spielen.
Unsere Kinder haben sich derweil mit einem kleinen Mädchen mit geblümelter Badekappe angefreundet, sie spielen mit ihr Ball und spritzen sich gegenseitig mit dem Wasserschlauch voll, der eigentlich zum Säubern nach dem Verlassen der Becken gedacht ist – auweia, ob das erlaubt ist? Wir wollen nichts falsch machen, aber Kinder sind nun mal Kinder und Wasser ist Wasser.
Niemand sagt etwas, und auch schiefe Blicke können wir nicht entdecken. Nach einigen Minuten ertönt der erlösende Pfiff, und plötzlich ist alles wieder ganz normal.
Wir verlassen das Schwimmbad nach etwa einer Stunde – klitschnass, erfrischt, und in der Gewissheit, dass wir hier in Japan noch vieles nicht auf Anhieb verstehen werden.
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Danke für die schönen Eindrücke aus dem Paralleluniversum Japan. Staunen und respektieren.
Toller Artikel.
Ich sage das immer wieder, wenn mich jemand fragt, was man unbedingt sehen soll: einfach rausgehen und am alltäglichen Leben teilnehmen. Das ist schon exotisch genug.
Daher habt ihr alles richtig gemacht. Kinder sind da echt viel entspannter und haben viel weniger Berührungsängste. Und finden auch kleine Dinge aufregend. So sollten wir alle wieder lernen zu reisen.