Während ich diesen Beitrag tippe, sind wir schon wieder zu Hause im kühlen, sauberen und regelrecht menschenleeren Deutschland – gesund, aber nicht eben munter.
Die anderen Weltwunderer hat der Jetlag dahingerafft, immerhin sind unsere Körper der Meinung, es wäre jetzt bereits wieder früher Morgen. Nur ich versuche, meine Augen offen zu halten, weil die erste Ladung Wäsche schon fast fertig gewaschen ist. Bis dahin erzähle ich noch schnell, was wir an unserem letzten Tag in Hanoi gemacht haben, nachdem wir morgens um 6:30 Uhr (zum Glück wieder mit 1,5 Stunden Verspätung) mit dem Nachtzug aus Sapa gekommen waren.
Da die frühe Morgenstunde dazu einlud, stellten wir schnell unser Gepäck in der Hotellobby ab und machten uns dann auf den Weg zum Heiligtum aller Vietnamesen, dem Mausoleum von Ho Chi Minh, Vietnams Nationalheld, Begründer und Premierminister sowie Präsident des Landes nach der Unabhängigkeit 1945. Das ist nämlich nur vormittags geöffnet – warum auch immer.
Was ich gar nicht wusste: Der Name bedeutet „Bringer des Lichts“ (laut Lonely Planet) oder „Ho klarer Wille“ (laut Wikipedia) und war nur ein Deckname. Eigentlich hieß der gute Mann Nguyen Tat Thanh. So, wie ja irgendwie fast alle Vietnamesen (der Nachname Nguyen steht an erster Stelle). Was ich wusste: Wenn man Onkel Ho in seinem Mausoleum besuchen will, muss man sich extrem respektvoll gebaren; lautes Reden, Hände in den Hosentaschen etc. sind streng verboten! Entsprechend dringlich versuchten wir den Weltwunderkindern die Wichtigkeit eines andächtigen Gebarens ans Herz zu legen, drohen konnten wir wenigstens zünftig mit Soldaten, die einen ins Gefängnis stecken würden. Das beeindruckte und wirkte.
Lange mussten die Kinder zum Glück nicht stillhalten: Die Schlange, in die wir uns gleich am Eingang des riesigen Ho-Chi-Minh-Gedenkbereichs am Ba-Dinh-Platz einreihten, bewegte sich erstaunlich flott um mehrere Ecken und an zahlreichen weiß uniformierten Gardesoldaten vorbei, schlängelte sich dann in das kälteste Gebäude Hanois hinein, eine Treppe hinauf und schob sich schließlich in ehrfürchtigem Schweigen und mit vielen scheuen Blicken einmal um einen mystisch ausgeleuchteten Glaskasten herum. In dem lag ein sehr kleiner, sehr blasser und alter Mann, der dank russischer Einbalsamierungskunst noch genauso aussieht wie vor 43 Jahren.
Damals bat der als sehr bescheiden propagierte Vater der Nation darum, ihm bitte bloß keine teuren Denkmäler zu setzen, sondern das Geld lieber in Schulneubauten zu investieren. Seinen Leichnam solle man verbrennen, notierte Onkel Ho. Seine getreuen Gefährten taten wortgetreu das Gegenteil und errichteten mit sowjetischer Hilfe ein sehr unansehnliches Mausoleum, in dem der Tote nun der interessierten Öffentlichkeit präsentiert wird. Und die ist tatsächlich erstaunlich interessiert: Obwohl es ein ganz normaler Dienstagvormittag war, kamen immer neue Besucher, vornehmlich Vietnamesen, und reihten sich in die nicht endende Schlange ein.
Das Mausoleum ist nicht nur kostenlos und extrem gut klimatisiert, den Besuch würde ich auch so jedem Hanoi-Besucher ans Herz legen. Der aufgebahrte Ho Chi Minh und die vielen ehrfürchtigen und echt ergriffenen, zum Teil laut weinenden Vietnamesen, die ihm auch nach so langer Zeit noch die letzte Ehre erweisen, sind beeindruckend und erinnert uns Wohlfühl-Touristen aus dem reichen Europa eindringlich daran, wie fremd Vietnam uns eigentlich ist.
Hier regiert eine kommunistische Partei, die zwischen vorsichtiger Modernisierung und Einfrieren des Status quo schwankt und mit extremer Korruption, Vetternwirtschaft und planerischem Unvermögen in Vietnam das Gegenteil der klassenlosen Gesellschaft des theoretischen Kommunismus geschaffen hat. Die vorgezeigte Leiche des Staatsgründers soll die Bürger „auf Spur“ halten und sie immer wieder an Vietnams Gründungsmythos erinnern: den heldenhaft geführten und zur Überraschung der Weltöffentlichkeit gewonnenen Krieg gegen die französischen Kolonialherren und dann die amerikanischen „Demokratiebringer“, auf dem Vietnams gesamte neuere Geschichte, ja seine ganze Gesellschaftsstruktur aufbauen.
Dass seit dem Ende des Krieges 1976 ebenfalls schon wieder mehr als 30 Jahre vergangen sind, über die man in den Reiseführern nichts liest und über die auch die Tourguides kaum etwas erzählen, vergisst man angesichts des pompösen Mausoleums und der allgegenwärtigen Onkel-Ho-Bilder schnell. Dass das Land noch Ende der 1980er-Jahre bettelarm war, die Menschen Hunger litten und von Hilfslieferungen abhängig waren, finde ich bedrückend. Während meine Schulklasse eine Kiste mit roten Pionierhalstüchern nach Vietnam geschickt hat, mussten die Kinder hier Tierfutter aus Osteuropa essen und litten an chronischer Unterernährung. Und während auch heute noch einfache Menschen für Lappalien ohne Prozess mehrere Jahre ins Gefängnis kommen, kann sich die politische und wirtschaftliche Elite (meist aus denselben Familien) praktisch alles leisten und erlauben.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf sieht man Vietnam und das hässliche Mausoleum in der Hauptstadt in einem anderen Licht – und jetzt muss ich wirklich ins Bett.
- Mallorca 101: alles, was ihr über Mallorca-Urlaub mit Kindern wissen müsst - 15. März 2023
- Camping in der Sächsischen Schweiz: die besten Stellplätze - 22. Februar 2023
- Seattle in 3 Tagen: unsere Highlights in der Emerald City - 4. Februar 2023