! Aktualisiert am 29. November 2020
Hiraizumi war die große Überraschung auf unserem Roadtrip durch Tohoku, den Norden von Japans Hauptinsel Honshu. Wir haben die wunderschöne Tempelstadt ganz zufällig am Wegrand entdeckt – ein historisches Japan im Kleinformat, ohne Touristenmassen.
Normalerweise fährt man von Tokio nach Norden entlang der Ostküste Japans, über die Stadt Sendai mit der traumhaften Matsushima-Bucht. Tut man das, verpasst man aber die echten Highlights von Tohoku, die sich im bergigen, dünn besiedelten und dicht bewaldeten Inland der Provinzen Iwate und Fukushima verbergen.
Neben dem winzigen Tono, wo wir auf die Jagd nach Kappa-Geistern gingen, und der Samurai-Hochburg Aizu-Wakamatsu am wunderschönen Lake Inawashiro im Schatten des Bandai-Vulkans, entdeckten wir Hiraizumi im Schein der untergehenden Sonne – ein Städtchen wie aus dem japanischen Bilderbuch (nein, kein Manga!).
Hiraizumi: Bilderbuch-Städtchen mit Bilderbuch-Tempeln
Wer in den Japanischen Alpen unterwegs war und Matsumoto oder Takayama gesehen hat, der wird den Anblick von Hiraizumi nicht ganz so außergewöhnlich finden. Unser Takayama-Besuch war schon zwei Jahre her, und wir haben uns auf den ersten Blick in Hiraizumi verliebt.
Das mag zum Teil auch daran liegen, dass wir ziemlich erschüttert von den Zerstörungen des Tsunami an der Nordostküste Japans gewesen waren und deshalb unsere Route durch Tohoku spontan ins Inland verlegt hatten. Hier war zwar nicht viel los, aber alles war heil – wir atmeten regelrecht auf.
Die Straßen und Gassen von Hiraizumi lagen still in der Abendsonne, gesäumt von blau leuchtenden Hortensien-Büschen und Kirschbäumen (die im Frühling und Herbst wunderschön aussehen sollen). Die niedrigen schwarz-weißen Holzhäuser schienen allesamt beim Wettbewerb um die Goldene Hausnummer gewonnen zu haben und an jeder Ecke lud ein kleines Restaurant oder ein Geschäft mit Souvenirs und Kunsthandwerk zum Hineinschauen ein.
Dass Hiraizumi einmal so groß und mächtig war, dass es sogar Kyoto Konkurrenz machte, sieht man heute nicht mehr. Der spätere erste Shogun, Minamoto Yoritomo, machte die Residenz des Fujiwara-Clans im Jahr 1189 auf der Suche nach seinem Bruder dem Erdboden gleich (der arme Yoshitsune hatte sich hier versteckt und brachte sich nach einem Verrat lieber um, als sich von seinem älteren Bruder töten zu lassen). Das scheint ihr bis heute nachzuhängen – die Häuser und Tempel sind zwar noch da bzw. originalgetreu wieder aufgebaut, ansonsten passiert hier aber nicht mehr viel.
Auf einem Hügel über der Stadt streiften wir durch einen verlassenen Shinto-Schrein, spazierten dann durch die idyllischen – im Kindermund: langweiligen – Parkanlagen des Motsu-ji Tempels, wo man auf den weiten Rasenflächen mit viel Fantasie noch die Fundamente eines ehemaligen Palastes erkennen kann, und entspannten uns vor dem Abendessen noch in einem netten kleinen Onsen.
Hauptsaison? Während wir in der Tempelanlage von Nikko von einem regelrechten Strom von Menschen mitgerissen worden waren, hatten wir Hiraizumi, die ehemals größte Stadt Japans mit einer jahrtausendealten Geschichte, so ziemlich allein für uns.
Chuson-ji und Goldene Halle
Touristen kommen vor allem nach Hiraizumi, um die berühmte Goldene Halle anzuschauen, wie uns der Reiseführer verriet. Dieses Mausoleum der ehemaligen Fujiwara-Herrscherdynastie wollten wir auch sehen! Dafür mussten wir zunächst den Chuson-ji betreten – die große Tempelanlage drumherum, in der die Goldene Halle steht.
Wie sich bald herausstellte, ist das Drumherum in diesem Fall wesentlich schöner als das berühmte Herzstück. Wir verbrachten in der aufsteigenden Tageshitze sehr angenehme Stunden damit, unter den riesigen Zedern des seit dem Jahr 850 (!!) existierenden Tempelgeländes umherzustreifen, die vielen kleinen Schreine anzuschauen und in der Haupthalle Hondo einem Mönch dabei zuzuschauen, wie er einem Besucher beim Aufschreiben von heiligen Sutren behilflich war.
Was der Mann da machte, während er umständlich niederkniete, sich vorbereitete, aus einem Heftchen vorgelesen und -gesungen bekam, mit Papierschnipseln bestreut wurde und schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, zu Feder und Tusche griff, um zwei Schriftzeichen zu malen? Keine Ahnung – aber es sah toll aus!
Das Weltwundertöchterchen, das weniger Geduld hatte, tapste derweil andächtig barfuß auf dem lackierten Holzboden der Veranda und auf den knisternden Tatami-Matten des Tempelinneren herum und teilte mir mit, es wolle “noch sehr, sehr lange in dem Holzhaus bleiben”.
Unsere besinnliche Stimmung erlitt leider einen Dämpfer, als wir die sagenumwobene Goldene Halle anschauen wollten. Dafür wurde nämlich erstens ein ziemlich happiger Eintritt fällig, zweitens durfte man die Halle – die aus Konservierungszwecken IN einem weiteren Haus steht – nicht fotografieren und drittens sah sie am Ende ziemlich unspektakulär aus.
Statt einer Halle handelt es sich eher um einen Mini-Tempel, der zwar reich verziert ist und in dem angeblich die Mumien der Fujiwara-Herrscher aufbewahrt werden, aber eben sehr klein wirkt und zu allem Überfluss hinter einer Glasscheibe steht. Nach fünf Minuten standen wir wieder draußen und fühlten uns etwas veräppelt.
Wie aufwendig die Verzierungen der Goldenen Halle sind und mit welcher Geduld sie in den 1960er-Jahren restauriert wurden, schauten wir uns danach in einem Video im Museum an, das wir alle wesentlich spannender fanden als die Goldene Halle selbst (Video geht ja immer).
Tipps für euren Besuch: Es gibt verschiedene Eingänge zum Chuson-ji; wir haben den südlichsten gewählt, von dem aus wir erst einmal ziemlich steil bergauf steigen mussten. Dafür haben wir allerdings einen wunderschönen Spaziergang unter riesigen Zedern und Ahornbäumen genossen. Das Tempelgelände ist 8 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt zahlt man nur für die Goldene Halle: 800 Yen.
Der Felsentempel: Takkoku no Iwaya Bishamon-do
Einen noch viel tolleren Tempel entdeckten wir, als wir schon aus Hiraizumi hinausfuhren und uns nach Süden wandten. Direkt am Straßenrand etwa 6 km außerhalb der Stadt fiel uns ein riesiger rostroter Torii auf, hinter dem ein ebenso rostrotes Tempelgebäude direkt in eine steil aufragende Felswand gebaut zu sein schien.
Der Takkoku no Iwaya Bishamon-do ist sogar noch älter als der Chuson-ji Tempel und wurde im 9. Jahrhundert auf dem Gebiet eines besiegten Kriegsherrn errichtet. Akuro Takamiro hielt in einer Felsenhöhle Frauen und Kinder aus den eroberten Städten gefangen und tötete sie nach Lust und Laune.
Nach dem Sieg über Takamiro wurde an und vor der Höhle ein Shinto-Schrein errichtet und dem Kriegsgott Bishamon gewidmet. Drumherum siedelten sich im 12. Jahrhundert einige buddhistische Tempel der Pure-Land-Sekte aus Hiraizumi an. Von ihnen stammt auch das große Buddha-Gesicht, das direkt in den Felsen neben dem Schrein geritzt wurde – angeblich der nördlichste Buddha Japans, was ich allerdings bezweifle, denn wir haben viel weiter im Norden noch reichlich Buddhas gesehen.
Was übrigens typisch Japan ist: Der Schrein mag ursprünglich über tausend Jahre alt sein; die aktuellen Gebäude sind aber zum Teil noch nicht einmal hundert Jahre alt. Holzhäuser brennen nämlich gern ab, und das ist dem Iwaya Bishamondo schon mehrfach passiert. Das derzeitige Gebäude stammt von 1961 und wurde dem Kiyomizudera-Schrein in Kyoto nachempfunden.
Von den über 100 Statuen des Bishamon-Gottes sind immer noch 33 erhalten, haben wir gelesen; die Öffentlichkeit darf sie aber nur nur alle 33 Jahre sehen.
Wir beschäftigten uns mit dem Läuten von Gongs, dem Anzünden von Räucherstäbchen und dem Beschriften von hölzernen Wunschkärtchen (so geht das) trotzdem ganz gut und genossen das Gefühl, als einzige Besucher in einer uralten japanischen Tempelanlage unterwegs zu sein.
Tipps für euren Besuch: Der Iwaya Bishamon-do ist täglich 8 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintritt beträgt 300 Yen für Erwachsene. Wenn ihr kein Auto habt (wir waren ja im Campervan unterwegs), gelangt ihr entweder mit dem Fahrrad hin (dauert ca. 30 Minuten über einsame Bergstraßen) oder mit einem Bus von Hiraizumi Station, der für 390 Yen etwa einmal pro Stunde hinfährt (etwa 10 Minuten).
Hiraizumi ist auf jeden Fall einen Abstecher wert, wenn ihr durch Tohoku fahrt. Die Stadt liegt etwa 100 km nördlich von Sendai, nach Tokio sind es 450 km, was per Zug in reichlich 3 Stunden zu schaffen ist. Aber warum die Eile – auf der Strecke gibt es doch so viel zu entdecken! ♥
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Liebe Jenny,
die riesigen alten Zedern und ausladenden Ahornbäume sehen toll aus. Über diese Wurzelpfade zu spazieren, könnte mir Spaß machen, vor allem, wenn gar nicht so viele Touristen rund herum unterwegs sind.
Liebe Grüße
Gela
Es war einfach idyllisch dort, wir waren ganz verzaubert. Touristen waren kaum da, aber so einige Japaner, die offensichtlich zum Beten oder Meditieren gekommen waren. Menschenleer war die Tempelanlage also nicht! ;-)